Transkript anzeigen Abspielen Pausieren

Modul 9

Gewalt / Benutzung

Modul 9

Gewalt / Benutzung

Entscheidend für die Verhinderung von Gewalttätigkeit ist, dass der Betroffene über ausreichende Selbstkontrollfähigkeit und Verhaltensalternativen für Stress- und Konfliktsituationen verfügt und sie in angespannter Situation immer wieder erprobt1. Die Wirkung von Alkohol und Drogen betrifft jedoch sowohl kognitive als auch motorische Fähigkeiten und beeinflusst gerade Kompetenzen wie das Kontrollieren eigener Handlungen, das Lösen von Problemen und das Verarbeiten von Eindrücken, Emotionen und Impulsen negativ. So kann sich jemand leichter bedroht oder provoziert fühlen, Reaktionen fallen schneller aggressiv aus. Gleichzeitig kann der Rausch subjektive Machtgefühle verstärken und dazu führen, dass Gefühle schneller in Gereiztheit und auch Gewalt umschlagen. Auch kann Gewalt selbst einen rauschartigen Effekt verursachen, der vor allem von jüngeren Männern mitunter gezielt gesucht wird. Die verringerte Schmerz- und Angstempfindlichkeit durch Drogen oder Alkohol ist in solchen Fällen oft willkommener Begleiteffekt.

Laut Bundeskriminalstatistik standen im Jahr 2017 10,9 Prozent aller Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss (davon 13% männlich und 4,9% weiblich). Außerdem waren 6,1% Tatverdächtige,  „die der Polizei als Konsumenten harter Drogen bekannt waren“ (davon 5,2% männlich und 0,9% weiblich). Betrachtet man allein reine Körperverletzungsdelikte entfallen 81% aller 2017 begangenen Taten auf Männer2.  Bei diesen Zahlen wird deutlich, dass Drogeneinfluss allein nicht der einzige gewaltbegünstigende Faktor ist: auch das Geschlecht spielt offenbar eine nicht geringe Rolle. Zu beachten ist desweiteren, dass 16,8% der männlichen Suchtkranken zusätzlich an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und 30% an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung impulsiven Typs leiden, welche zu einer erhöhten Gewaltneigung führen3

Auch wenn diese Zahlen eine deutliche Richtung vorgeben, darf nicht vergessen werden, dass Männer häufig nicht nur Täter sondern auch Opfer sein können. Gerade mit diesem Gedanken tun sich viele jedoch schwer. „Jungen können sich wehren“ oder „Jungen weinen nicht“ sind Anforderungssätze, die den Heranwachsenden schon früh klar machen, wie man als Mann zu sein hat. Die Opferrolle ist mit dem Mannsein scheinbar nicht zu vereinbaren, Opfererfahrungen gehen oft mit Scham und Geheimhaltung einher, aus Angst das Gesicht zu verlieren. Zum Trauma durch äußere Einflüsse kommt hier ein inneres Trauma hinzu, dass eine Thematisierung im therapeutischen Kontext deutlich erschwert.

So wie es nach der Adoleszent zu einer Abnahme devianten Verhaltens kommt, nimmt die Gewaltbereitschaft von Männern mit  zunehmendem Alter ebenfalls ab. Genau wie durch den Konsum von Rauschmitteln wird Gewalt eingesetzt, um Dominanz, Macht und Stärke zu empfinden und vor allem auch zu präsentieren. Die Bestätigung des Eigenen und des vom sozialen Umfeld geteilten Männlichkeitsbildes, die Selbstvergewisserung und Außendarstellung der eigenen Männlichkeit sind sowohl beim Konsum als auch bei Gewalt geteilte Motive. Gerade in Fällen, bei denen das tägliche Erleben häufig oder besonders stark vom eigenen Männlichkeitsideal abweicht, kann beides gleichermaßen als „Ausgleich erlebter Männlichkeitsdefizite erfahren werden“4. Sucht und Konsum weisen außerdem auch einen autoaggressiven Aspekt auf: „der Suchtmittelkonsum ist jedoch letztlich selbst in immer fortgesetzterem Maße ein Akt der Gewalt gegen den eigenen Körper.“5

Die Korrelation zwischen erlebter Gewalt und eigener Gewaltanwendung ist bei Männern besonders deutlich. Auch bei Gewalt und Sucht gibt es einen Zusammenhang, Personen in Suchtbehandlung berichten gehäuft von Gewalterfahrungen in Kindheit und Jugend. Je stärker sich Jugendliche mit den vorgelebten Werten und Normen einer Machokultur identifizieren, desto stärker ist auch ihre eigene Gewaltneigung ausgeprägt. Ein gewaltorientiertes Umfeld, egal ob Familie oder Peer-Group, scheint hier ausschlaggebender Faktor zu sein.

In der Arbeit mit Betroffenen ist seitens des Beraters oder Therapeuten eine klare, gelebte Wertorientierung nötig. Gewalterfahrungen durch Clique oder Familie und gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen sind in der Gruppe gezielt zu thematisieren. Es kann vorkommen, dass Betroffene versuchen eventuell praktizierte Gewalt gegen Frauen durch vermeintliche Argumente wie Schutz, notwendige Kontrolle oder religiöse und kulturelle Normen zu legitimisieren. Ebenso wie bei der Abwertung homosexueller Männer, kann es jedoch keine Rechtfertigung für Diskriminierung und Gewalt geben. Ziel des Moduls ist das Erkennen und Thematisieren von Gewalt in unterschiedlichen Facetten (Gewaltanwendung gegen andere oder sich selbst, Gewalterfahrungen in der Biographie, Ohnmachtsgefühle…). Das Verhältnis zu Gewalt muss im Hinblick auf die Wechselwirkung mit dem Suchtmittel hinterfragt werden, Opfererfahrungen müssen benannt werden. Bei Tätern ist Verstehen der Perspektive des Opfers ein weiterer Aspekt. Alternative Bewältigungsstrategien und gegebenenfalls die Entscheidung zur Nutzung eines Aggressionsbewältigungstrainings sollten fokussiert werden.  Zu beachten ist, dass „der beraterische Kontakt erhalten bleibt, ohne einen klaren Standpunkt zu verlassen“6.


Verweise

1 | H. Stöver, A. Vosshagen, P. Bockholdt, F. Schulte-Derne, Männlichkeiten und Sucht - Handbuch für die Praxis, Hrsg.: Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Münster 2017. S. 192
2 | Vgl. Bundeskriminalamt (Hrsg.), Polizeiliche Kriminalstatistik, PKS Jahrbuch 201,7 Band 3, Version 1. S. 114ff.

3 | Vgl. J. Lindenmeyer, Umgang mit Ärger und Aggression: Ein Gruppentherapieprogramm für alkoholabhängige Männer mit erhöhter Aggressions- und Gewaltbereitschaft. In J. Fais (Hrsg.) Gewalt - Sprache der Verzweiflung. Lengerich 2012.

4 | Vgl. R. Peralta, L. A. Tuttle, J. L. Steele, At the intersection of interpersonal violence, masculinity and alcohol use. In Violence against women, 2010. S. 387 - 409

5 | H. Stöver, A. Vosshagen, P. Bockholdt, F. Schulte-Derne, Männlichkeiten und Sucht - Handbuch für die Praxis, Hrsg.: Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Münster 2017. S. 192

6 | Vgl. ebd. S. 194