Modul 5
Beziehung zu Frauen
Die eigene Mutter als erste Frau, der man(n) in seinem Leben begegnet, stellt einen entscheidenden Einflussfaktor bei der Entwicklung von Beziehungsfähigkeit dar. Wie der Vater prägt auch die Mutter das Verständnis von geschlechtstypischen Verhaltensweisen und Einstellungen mit und wo der Vater als Archetyp männlicher Attribute wahrgenommen wird, trifft dasselbe im Falle der Mutter auf die Weiblichkeit zu.
Fehlt eine dieser Bezugspersonen kann das zu problematischen Trugschlüssen führen: für den Heranwachsenden ohne Vaterfigur bleibt die Mutter als einziger Bezug. Die an ihr wahrgenommenen Attribute werden als weiblich assoziiert, die Konstruktion der eigenen männlichen Identität erfolgt auf naheliegende, aber irreführende Art: durch Abgrenzung und Negation. Vermittelt die Mutter also beispielsweise Liebe, Nähe und Geborgenheit, so werden diese Attribute als weiblich wahrgenommen. Ihr Gegenteil müsste, so der aus dieser Erkenntnis folgende Rückschluss, demnach klassisch männlichen Attributen entsprechen. Coolness, Unabhängigkeit und Kontrolle werden so zu Leitmotiven im Verhalten, was häufig z.B. zu emotionaler Distanz führt.
Problematisch verstärkt wird dies durch den Umstand, dass etwa 80% der Betroffenen von der Rolle des Vaters enttäuscht sind und diese abwerten, während die Mutter idealisiert und überhöht wahrgenommen wird1. Die so verinnerlichten Geschlechterbilder prägen selbstverständlich auch spätere Beziehungen entscheidend mit. Das Zulassen (oder noch „schlimmer“: das Einfordern) von Nähe ist als unmännlich deklariert, enge, emotional-intime Beziehungen werden als unangenehm oder kompliziert empfunden. Männlichkeit muss ständig bewiesen werden, in Abgrenzung zum Weiblichen als doppelte Negation2. Alles nicht-feminine wird demnach automatisch als männlich betrachtet. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Aufarbeitung dieses Fehlschlusses, sowie die Erarbeitung einer Orientierung zwischen den Extremen.
In diesem Kontext spielt auch der von vielem empfundene vermeintliche Zwiespalt zwischen Bindungsfähigkeit auf der einen und Eigenständigkeit auf der anderen Seite eine Rolle, denn vor allem hier stößt man immer wieder auf den Begriff der Co-Abhängigkeit, welche das zwanghafte Bedürfnis nach Unterstützung und Kontrolle des Suchtkranken bezeichnet3. Besonders Frauen machen häufig ihr Selbstwertgefühl von den Reaktionen ihrer (ehemals) abhängigen Partner oder Familienangehörigen abhängig, hingegen wird der Betroffene in einem solchen Beziehungsmodell zunehmend auch von der fürsorglichen, helfenden Haltung seiner Partnerin abhängig. Für ihn ist kommt diese Abhängigkeit zugleich der Aufgabe seiner Stellung als gleichberechtigter Mann in Ehe und Familie gleich. Er ist hilfs- und behandlungsbedürftig, sieht sich als „den Kranken“ und versucht gleichzeitig, dies zu verleugnen. Der Leidensdruck des Betroffenen in einer solchen Lage ist hoch, der Konsum oft der vermeintlich einzige Ausweg.
Behandlungsziel in solchen Fällen muss ein langfristiger Wiederaufbau von Vertrauen und einer gleichberechtigten Beziehungsform sein, was jedoch Selbstkonfrontation, Empathie, Konfliktfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft voraussetzt, allesamt Eigenschaften, welche im Therapieverlauf besonders zu fördern sind. Im Trennungsfall hat der (zumeist verlassene) Mann oft mit Kränkungsgefühlen zu kämpfen und häufig sind diese Phasen für Männer schwerer zu verkraften, als für Frauen. Für Männer stellen Beziehungen oft einen protektiven Faktor auch im Hinblick auf Gesundheit und Mortalitätsrisiko dar: das Sterberisiko ist bei ledigen Männer um 58% erhöht4. Bewältigungsstrategien, Trainings, und deren Erprobung schon während der Therapiephase sind hier notwendig, damit das Alleinsein nicht zum Risikofaktor wird.
Zu beachten ist: die Beschäftigung mit der Beziehung zu Frauen beinhaltet immer zwangsläufig die Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter. Der Grundsatz von Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit muss offen gelebt werden, Abwertung von Frauen in der Gruppe muss unterbunden, die Gleichstellung von Frau und Mann als eindeutige Position klar vertreten werden5.
Verweise
1 | Vgl. H. Stöver, A. Vosshagen, P. Bockholdt, F. Schulte-Derne, Männlichkeiten und Sucht - Handbuch für die Praxis, Hrsg.: Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Münster 2017. S. 93
2 | Vgl. C. Hagemann-White, „Wir werden nicht zwischengeschlechtlich geboren…“ in C. Hagemann-White, M. Rerrich (Hrsg.), FrauenMännerBilder. Männer und Männlichkeit in der feministischen Diskussion. Bielefeld 1988.
3 | Vgl. H. Stöver, A. Vosshagen, P. Bockholdt, F. Schulte-Derne, Männlichkeiten und Sucht - Handbuch für die Praxis, Hrsg.: Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Münster 2017. S. 94
4 | Vgl. Robert Koch Institut, Gesundheitliche Lage der Männer in Deutschland - Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin 2014. S. 170
5 | Vgl. H. Stöver, A. Vosshagen, P. Bockholdt, F. Schulte-Derne, Männlichkeiten und Sucht - Handbuch für die Praxis, Hrsg.: Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Münster 2017. S. 95